Am Anfang war das Erzählen

Karen Blixen und die Bibel



Die dänische Schriftstellerin Karen Blixen reflektiert in ihrem Werk die Bedeutung des Erzählens für die Identitätsfindung. So laden ihre Erzählungen zum wiederholten Lesen ein und der sich stets wandelnde Rezeptionsprozess spiegelt retrospektiv die eigene Lebenserzählung.

Diese poetologische Idee illustriert Blixen besonders eindrücklich durch ihren Umgang mit der Bibel, wenn sie etwa ex negativo anhand einer heilsökonomischen Lesart zeigt, wie ein kollektiver Glaubenstext die individuelle Sinnsuche verhindert. Daher kreisen ihre Erzählungen oft um die drei Angelpunkte der Heilsgeschichte: den Sündenfall und die Erbsünde, die jungfräuliche Geburt des Messias sowie die Passion Christi, der sich stellvertretend opfert. Der Biss in die verbotene Frucht determiniert alles Folgende von Beginn an, vereitelt damit die eigene Sinnsuche und bedeutet letztlich ein Ende des Erzählens. Doch als Erzählwerk statt als Offenbarung gelesen, wird die Bibel als Intertext zum Anfang neuen Erzählens.